Das Schatzregal oder Der Ehrliche ist der Dumme
Ich bin kein Jurist. Dies ist keine Rechtsberatung sondern lediglich die Darlegung meiner persönlichen Rechtsauffassung. Jedwede Gewährleistung ist ausgeschlossen.
Der Begriff „Schatzregal“ meint kein Möbel, sondern ist die Bezeichnung eines Paragraphen in der Mehrzahl der deutschen Denkmalschutzgesetze. Es besagt, dass ein neuentdeckter Fund von besonderem wissenschaftlichen Wert (die genaue Formulierung variiert, ist aber stets vage) mit der Entdeckung in das Eigentum des Bundeslandes übergeht. Finder und / oder Grundeigentümer gehen leer aus.
Das Schatzregal gilt in allen deutschen Bundesländern mit Ausnahme von Bayern. (In Hessen gilt eine Spezialform, die ausnahmsweise nicht auf ein ersatzloses Wegnehmen hinausläuft, sondern dem meldenden Finder einen 100% finanziellen Ersatz zusichert, s.u.. )
In der Praxis verhindert diese Vorschrift mehr als jede andere das Melden von Funden. Ein erfahrener Antiquitätenhändler bezeichnete sie in einer Fernsehsendung als „bürokratisches Meisterstück“; Liebhaber geschwollener Formulierungen nennen sie "ein in einen Gesetzestext geronnenes Mahnmal für die Weltfremdheit der Amtsarchäologie" [5].
Das Schatzregal steht im Widerspruch zu §984 BGB, dem sog. Schatzfund-Paragraphen, der eine 50/50 Aufteilung zwischen Finder und Grundeigentümer vorsieht. Obwohl das Schatzregal zum Landesrecht gehört und das BGB ein Bundesgesetz ist und es den Grundsatz „Bundesrecht bricht Landesrecht“ gibt, ist das Schatzregal geltendes, zuletzt vom Bundesverfassungsgericht 1988 bestätigtes Recht.
Juristisch gründet sich das Schatzregal auf § 73 des EGBGB (Einführungsgesetz zum BGB), der besagt, dass die Landesvorschriften bezüglich Regalien vom BGB unberührt bleiben. Regalien sind ein kurioses Relikt der mittelalterlichen Rechtsordnung und meint hier soviel wie "Eigentum des Landesherren". Siehe dazu auch den Abschnitt "antiquiert wirkende Regelungen" des Artikels zur Rechtslage. In menschliche Sprache umgewandelt bedeutet dies zusammengefasst "Falls ein Bundesland es will, so kann es mit Hilfe advokatischer Winkelzüge und Gesetzesrelikten aus der Ritterzeit dafür sorgen, dass historische Bodenfunde formaljuristisch im Moment ihrer Entdeckung sein Eigentum werden. Kurz, es hat das Recht, Findern ihren Fund ersatzlos wegzunehmen".
In der Sondengängerszene sorgte eine juristische Doktorarbeit [1] von Fischer zu Cramburg für helle Aufregung, in der der Verfasser zu dem Schluss gelangt, dass das Schatzregal verfassungswidrig sei. So erfreulich sich so eine Aussage aus juristischen Kreisen für Sondengänger auch anhören mag, letztendlich bleibt sie wohl wirkungslos. Praktisch gesehen ist ein Gesetz erst dann verfassungswidrig, wenn es vom BVerfG dazu erklärt wurde. Das jedoch ist bisher nicht geschehen und ist in absehbarer Zukunft auch nicht zu erwarten.
Das Schatzregal ist umstritten, nicht nur in Schatzsucherkreisen, nicht nur in juristischen Kreisen, sondern praktisch bei allen, die vor allem dem gesunden Menschenverstand verpflichtet sind. So schreibt Dr. Klaus Graf, Historiker an der Uni Freiburg in einer Onlinerezension von [1]:
„Es ist nachvollziehbar, dass den Sondengängern, Sammlern und dem Handel das Schatzregal der meisten Bundesländer ein Dorn im Auge ist. Nichtsdestotrotz: Die allgemeinen rechtspolitischen Argumente, die gegen das Schatzregal ins Feld geführt werden, haben erhebliches Gewicht. Der renommierte hessische Numismatiker Niklot Klüssendorf hat schon 1992 überzeugende pragmatische Bedenken gegen das Schatzregal artikuliert [18]. Es führt zur Verschleppung und Verfälschung archäologischer Funde, zu einem wissenschaftlich höchst bedauerlichen "Fundtourismus", bei dem die gefundenen Stücke mit gefälschter Herkunft in einem Bundesland ohne Schatzregal registriert werden. Die Akzeptanz in der Bevölkerung ist schlichtweg nicht gegeben: "Wer etwas wertvolles findet und meldet, möchte nicht leer ausgehen" [19]. Fischer zu Cramburg bemerkt zurecht, es schade der Diskussion, dass der einzige unumstrittene Vorteil des Schatzregals, die Schonung der Landeskassen, meist nicht offen genannt werde (S. 201). Werden ehrliche Finder - wie in Mecklenburg-Vorpommern üblich (S. 202) - mit einem "Fachbuch" abgespeist, so ist der Anreiz, wertvolle Bodenfunde zu melden, kaum gegeben. Eine Schatzregal-Regelung, die auf eine angemessene Entschädigung verzichtet, schadet eher dem Denkmalschutz als dass sie ihm nützt. "Practical wisdom", schreibt der amerikanische Jurist Joseph L. Sax in einer wunderbaren Monographie, "suggests that finders ordinarily need to be compensated generously or the public is unlikely to get the found objects, regardless of the formal rules" [20].
Das Schatzregal muss im Kontext der Diskussion über die Rolle der privaten Interessenten an archäologischen Funden gesehen werden. Die Fronten der Debatte [21] sind ideologisch verhärtet: Einflussreiche Hardliner in den Ämtern wollen in allen Sondengängern nur kriminelle Raubgräber sehen und den Handel mit archäologischem Fundgut ganz unterbinden. Auf der anderen Seite stehen die berechtigten Interessen von seriösen "Hobby-Archäologen", die in den Ämtern vielfach nur auf Ablehnung stossen. Mit Recht zitiert Fischer zu Cramburg S. 206 aus dem Urteil des Verwaltungsgericht Wiesbaden vom 3. Mai 2000, das der hessischen Denkmalpflege folgendes ins Stammbuch schrieb: "Die Behörde wird sich insgesamt aus dem behaglichen Areal, in dem sie bislang auf dem Gebiete der Archäologie von der Öffentlichkeit völlig ungestört arbeiten konnte, herausbewegen müssen" [22]. Mit ihrer martialischen Rhetorik in Verbindung mit einer unangemessenen Kriminalisierung und der Verweigerung jeglichen Dialogs werden die Bodendenkmalpfleger die Schatzsucher-Szene gewiss nicht austrocknen können. Über Sinn und Unsinn eines Schatzregals müsste aufgrund einer - bislang nicht vorliegenden - empirischen Untersuchung über Fundmeldungen entschieden werden.“[2]
Die einzige Personengruppe, die das Schatzregal begrüßt, sind, wenig verwunderlich, seine Profiteure aus den Kreisen der Amtsarchäologie.
Soviel zum juristischen Hintergrund. Nun sind Sondengänger meist nicht an juristischen Feinheiten oder schöngeistigen Erwägungen interessiert. Was sie jedoch kristallklar verstehen, ist, dass man Ihnen einen Fund wegnimmt (Schatzregalländer), oder mit Anwälten wegzunehmen versucht (Nichtschatzregalländer) wenn sie ihn melden. Sie folglich „schön blöd“ wären dies zu tun. Mehr brauchen sie gar nicht zu wissen und mehr muss hier dazu also auch nicht geschrieben werden. Interessierte Leser werden an den Artikel "Rechtslage" verwiesen.
Statt dessen folgen zum Abschluss des Artikels einige Beispiele für das Melden wertvoller Funde in Schatzregalländern, die für die Finder samt und sonders negativ ausgingen. „Da macht man einmal im Leben so einen Fund, meldet ihn brav, und dann wird er einem weggenommen.“, ist das übliche, resignierte Resumee. Diese Fälle sind den meisten Sondengehern bekannt und haben dazu beigetragen, dass der ehrliche, meldende Finder im kollektiven Bewusstsein deutscher Sucher am Ende der Dumme ist.
Juni 1989: Im Ort Dreisen in Rheinland-Pfalz macht der Maurer Herr Brendel bei Bauarbeiten im seinem Haus, das seiner Familie seit dem 18. Jhd. gehört, eine unglaubliche Entdeckung. Er findet zahlreiche alte Gold- und Silbermünzen im Wert von mehreren 100.000 Euro. Er meldet und übergibt den Fund dem historischen Museum Speyer, das zunächst versichert, ihn nur vorübergehend zur wissenschaftlichen Auswertung anzunehmen. Als er nach 6 Monaten nachgefragt, wird er zunächst hingehalten, dann erfährt er: Das Land Rheinland-Pfalz erhebt Anspruch auf den Münzschatz. Er prozessiert und verliert. Zum Schluss erhält er 25.000 Euro, die gerade ausreichen, die Anwaltskosten zu decken. Auf die Frage des Reporters, was er denn tun würde, wenn er noch mal einen Schatz fände, sagte er bitter, dass er ihn wieder einmauern und nichts mehr abgeben würde. [3]
Ein anderer „Schatzregalklassiker“ ist die Geschichte eines Fundes von römischen Münzen im Wert von 7.5 Millionen Euro in einer Trierer Baugrube. Der Finder meldete den Schatz und erhielt letztlich einen „Finderlohn“ von unter 1% des Wertes.[3]
Dies waren große Funde. Erfahrungsgemäß kommen auf jeden großen Fund viele kleine. Die meisten schaffen es nicht ins Fernsehen oder in die Presse, aber zuweilen berichten auch archäologische Publikationen darüber, ohne freilich die Problematik des Themas „Schatzregal“ anzuschneiden. So berichtet die Zeitschrift „Archäologie in Deutschland“ unter der Überschrift „Spardose aus der Barockzeit“ über einen im 1993 gemachten und gemeldeten Fund von 2578 Silbermünzen, die vorwiegend zwischen 1623 bis 1675 geprägt wurden. Der Finder erhielt (symbolische) 5.000,-- DM Belohnung. [4]
Update 21.9.11
Auch Hessen hat im Juni 2011 ein Schatzregal (§24 DSchG Hessen) eingeführt. Es wirkt moderner als die älteren reinen Abzockversionen in anderen Bundesländern und erwähnt ausdrücklich, dass bei der Festlegung der Belohnung für den Finder auch der Verkehrswert zu beachten ist. Wie das in der Praxis gehandhabt wird, bleibt abzuwarten. Tendenziell ist diese Entwicklung hin zu mehr Realismus jedoch zu begrüßen.
Dass bei unerlaubten Nachforschungen keine Belohnung ausgezahlt wird - zweifellos ein Zugeständnis an die Dogmatiker - soll die Leute in den Genehmigungsprozess zwingen, wird jedoch in der Praxis viele Schatzfundmeldungen verhindern. Nicht unter den mythischen Raubgräbern - die melden ohnehin nichts. Sondern bei den Suchern, die sich den Genehmigungsprozess samt der damit verbundenen Einschränkungen ersparen wollen, abseits bekannter Bodendenkmäler suchen, dann zu ihrer eigenen Überraschung etwas Bedeutendes finden und nun befürchten, dass daraus eine "unerlaubte Nachforschung" konstruiert werden kann. Diese werden eine Meldung oft als unkalkulierbares Risiko des Totalverlustes des Fundes ansehen, das sie lieber vermeiden wollen.
Update 8.11.13
Im Sommer 2013 wurde auch in NRW das Schatzregal in der üblichen Form eingeführt, d.h. ein meldender Finder muss in der Praxis damit rechnen, dass ihm sein Fund ohne nennenswerte Gegenleistung weggenommen wird.
Quellen und Anmerkungen
[1] Ralf Fischer zu Cramburg : Das Schatzregal. Der obrigkeitliche Anspruch auf das Eigentum an Schatzfunden in den deutschen Rechten, Hoehr-Grenzhausen: Numismatischer Verlag Gerd Martin Forneck 2001,
[2] Aus einer Rezension von [1] von Dr. Klaus Graf, Historiker an der Universität Freiburg. Vollständiger Text: http://www.vl-museen.de/lit-rez/graf02-1.htm
[3] TV Sendung „Jäger des verlorenen Goldes – Schatzsucher und ihr verteufeltes Hobby“, SWR 2002
[4] Archäologie in Deutschland 2/94, Artikel „Spardose aus der Barockzeit“
[5] (C) Autor. Lizenzen verfügbar.
Siehe auch
(C) Thorsten Straub, www.sondengaenger-deutschland.de