Amtsarchäologie in Deutschland: Leistungen, Grenzen, gesellschaftliche Wahrnehmung

Inhaltsverzeichnis

Einführung

Deutsche Archäologen sind gut ausgebildet und motiviert, können Deutschland jedoch aufgrund begrenzter Kapazitäten (vulgo Geld) nur punktuell untersuchen. Methodenwissen und Technologien sind auf dem neuesten Stand [6], die Mittel sind jedoch dermaßen gering, dass wir nach 100 Jahren Amtsarchäologie noch ganz am Anfang stehen die Vergangenheit des Gebietes zu verstehen, das heute Deutschland heißt.

Da wo die Mittel bereit stehen um tatsächlich nach dem Stand der Wissenschaft arbeiten zu können, sind die Ergebnisse beeindruckend und werden auch sehr ansprechend publiziert, und zwar sowohl für das Fachpublikum als auch für interessierte Laien. Beeindruckend war hier z.B. die Leistungsschau der deutschen Archäologie, die unter dem Titel „Menschen, Zeiten, Räume“ Anfang 2003 in Berlin und Bonn zu sehen war und zu der auch zwei Publikationen erschienen sind.

Archäologen im Denkmalschutz handeln aus Überzeugung. Sie machten auf mich stets den Eindruck einer verschworenen Gemeinschaft, die, finanziell nicht auf Rosen gebettet, überzeugt ist von der gesellschaftlichen Bedeutung ihres Handelns, weit mehr als die Gesellschaft selber, und dieser daher trotzig die Stirn bietend. Tatsächlich habe ich bei den oberen Denkmalschutzbehörden, also den Fachbehörden, noch nie einen demotivierten Mitarbeiter getroffen, wie es bei den unteren Denkmalschutzbehörden zuweilen vorkam. Einmal wurde ich von der Telefonistin gefragt, ob ich zu jemanden verbunden werden wollte, der zwar gerade Urlaub habe, aber dennoch im Büro sei um Akten zu bearbeiteten. In seinem Urlaub wollte ich ihn aber nicht mit einer Sondengängeranfrage stören.

Forschungsstand

Abgesehen von isolierten, untersuchten Punkten ist der große Rest Deutschlands archäologisch betrachtet weitgehend eine Terra Incognita. Die archäologische Karte Deutschlands ist weitgehend weiß, oder bestenfalls in einem sehr hellen Grau gehalten. Aus den 4-5 Landkreisen, in denen ich tätig bin [1], ist mir insgesamt nur ein einziges (!) im Rahmen einer Forschungsgrabung untersuchtes Areal bekannt [2], und das seit Beginn der institutionellen Archäologie vor ca. 100-150 Jahren.

Selbst die beiden prominentesten Bodendenkmäler in diesen Landkreisen wurden nie richtig untersucht, von den Allerweltsdenkmälern wie Burgställen und Hügelgräber ganz zu schweigen.
Das eine [3] wurde gegen Ende des 19. Jhd. mal oberflächlich „angekratzt“. Amtsbekannte Funde von dort beschränken sich auf einige Keramikscherben und eiserne Kleinteile. Gemessen an dem, was dort im Boden liegt oder zumindest lag, ist das geradezu grotesk wenig.
Der andere Ort [4] sah ein einziges Mal Ausgrabungen. Diese wurden in der Nazizeit ausgesprochen dilettantisch, so die heutige Bewertung der Fachwelt, durchgeführt. Der Grabungsbericht umfasst keine 10 Zeilen und ist nichtssagend. Eine amtliche Publikation aus den 1970er Jahren über die Archäologie des betreffenden Landkreises schreibt im Vorwort, dass die Geschichte der lokalen Archäologie praktisch eine „Geschichte der Versäumnisse“ sei. Soweit zu den Forschungsgrabungen.

Dazu gesellen sich die so genannten Notgrabungen, die von den Denkmalschutzbehörden durchgeführt werden, wenn archäologische Strukturen bei Baumaßnahmen entdeckt werden. Hier gab es im Laufe der Jahrzehnte eine große Anzahl, die in Relation zu der betroffenen Fläche jedoch nur als Stichproben zu werten ist.

Aus den Berichten der Denkmalpflege geht hervor, dass diese Notgrabungen ihren Namen in mancherlei Hinsicht zu Recht tragen, denn erstens sind ihre Grenzen durch das Bauvorhaben vorgegeben, so dass man oft da stoppen muss, wo es archäologisch gesehen gerade erst interessant wird, und zweitens sind die Mittel teilweise extrem beschränkt. Das kann in der Praxis so aussehen, dass lediglich ein Tag Zeit zur Verfügung steht um ein zufällig entdecktes Grab zu dokumentieren und das Ausgräberteam aus einem Archäologen und zwei Helfern bestand, die die Gemeinde für einen halben Tag zur Verfügung stellte. In der offiziellen Publikation hieß es dann auch, die Notgrabung hätte den „Stil des 19. Jhd.“ gehabt [5]. Am Rande sei darauf hingewiesen, dass die Denkmalschutzbehörden zwar von Sondengängern viel Qualifikation fordern, selbst jedoch, der Not gehorchend, auch denkbar unqualifiziertes und unmotiviertes Personal beschäftigen, das z.T beim Arbeitsamt zwangsrekrutiert wird.

Die jüngsten Publikationen über den archäologischen Kenntnisstand in den Landkreisen meines Arbeitsgebietes stammen mit einer Ausnahme aus den 1970er oder 1980er Jahren. Sie enthalten hauptsächlich eine Auflistung der – in Relation zu der Größe der Fläche sehr wenigen – gemeldeten Zufallsfunde der letzten 150 Jahre. Gemeinsam mit den Notgrabungen ist dies die dürftige Basis für alle Theorien zur Siedlungsgenese. Eben weil die amtsarchäologischen Kenntnisse so überaus mager sind, kann man als Privatforscher auf Landkreisebene noch relevante Entdeckungen machen. Aus meiner Sicht macht das einen Hauptreiz der Prospektion mit dem Metalldetektor aus. So sind aus einem großen Waldgebiet im Großraum München in den letzten 150 Jahren ca. 20 römische Münzen bekannt. Ich fand dort diese Anzahl an einem einzigen Tag. Die Reaktion der Denkmalschutzbehörde lautete „ganz nett“, aber auch nicht mehr.

Nun soll hier nicht der Eindruck erweckt werden, der Kenntnisstand sei überall in Deutschland so extrem dürftig. Auch in Bayern gibt es wesentlich besser erforschte Räume, z.B. an der Donau, wo sehr viel mehr Stichproben gemacht wurden. (Das ist wiederum ein Beispiel dafür, dass sich Untersuchungen auf Gebiete konzentrieren, die in der Vergangenheit interessante Ergebnisse lieferten. Das wiederum führt zu noch mehr Ergebnissen aus just diesen Gebieten und damit zu einer Überbetonung dieses Gebietes auf der Fundkarte.) Dennoch: Der Gesamtforschungsstand in Deutschland ist sehr dürftig. Nach menschlichem Ermessen werden weit über 90% der heute bekannten Bodendenkmäler nie untersucht werden.

Budgetsituation

Budgetsituation der verschiedenen deutschen Denkmalschutzbehörden

Die Budgetsituation unterscheidet sich stark von Bundesland zu Bundesland, ist in den alten Bundesländern aber allgemein eher schlecht. Zunächst ist festzuhalten, dass das Budget nicht der wirtschaftlichen Stärke des jeweiligen Bundeslandes entspricht, was für Außenstehende vielleicht überraschend ist. Tatsächlich muss das Landesdenkmalsamt im wirtschaftlich starken Bayern in Relatin zur Landesfläche mit sehr geringen Mitteln auskommen, die seit der Wiedervereinigung kontinuierlich reduziert wurden, inklusive der davor praktisch unbegrenzt zur Verfügung stehenden ABM Stellen. In den wirtschaftlich schwachen neuen Bundesländern hingegen sieht es relativ gut aus. In Sachsen-Anhalt z.B. gibt es die bei weitem höchste Archäologendichte Deutschlands.

Dies mag mit der für Außenstehende schwer nachvollziehbaren Mittelverwendung im Rahmen des so genannten „Aufbau Ost“ Förderprogrammes zusammenhängen, die so beschaffen ist, dass Gelder in Ostdeutschland für alles Mögliche verwendet werden, eben nicht nur für den Aufbau einer selbsttragenden Wirtschaft in Ostdeutschland.

Der wirtschaftliche Aufholprozess der neuen Bundesländer kam bereits Mitte der 1990er Jahre zum Erliegen. Daher und weil der politische Wille zur Überprüfung dieses sehr umfangfreichen Mitteltransfers von West nach Ost fehlt, wird die Archäologie in den neuen Bundesländern auch in absehbarer Zukunft einen Budgetvorteil besitzen und deutlich schnellere Fortschritte machen als im Westen, wo die meisten der gut ausgebildeten Archäologen keine berufsbezogene Stelle finden. Aus archäologischer Sicht besteht Ostdeutschland aus blühenden Ländern. Eine relativ gute Budgetlage und wohlhabende vorgeschichtliche Gesellschaften eines hohen Zivilisationsgrades (Stichwort: Goseck) stellen sicher, dass der Osten noch viele spannende archäologische Entdeckungen liefern wird.

Eine Facette der so wichtigen Mittelvergabe betrifft direkt die Sondengänger. Es kann beobachtet werden, dass spektakuläre Entdeckungen öffentliche Aufmerksamkeit und damit üppige Budgets nach sich ziehen. In Kalkriese findet der Sondengänger Tony Clunn Überreste der Varusschlacht und schon, schwupps, steht auf einmal das Budget zur Verfügung um das Areal teilweise archäologisch zu ergraben und sogar für ein lokales Museum ( "Rostlaube von Kalkriese“) ist auf einmal Geld da. Auf dem Mittelberg bei Nebra finden Sondengänger die Himmelsscheibe, schon findet dort eine Grabung statt (was sonst nie passiert wäre, der durchwurzelte Waldboden ist zudem ein Albtraum für Ausgräber) und ein Informationszentrum wird auch errichtet werden. Was diese beiden Beispiele schlaglichtartig illustrieren ist der Zusammenhang zwischen Budgetsituation und gesellschaftlicher Wahrnehmung. So wichtig er ist, ich bin überzeugt davon, dass viele Menschen, die in der deutschen Amtsarchäologie in leitender Position tätig sind, ihn nicht erkannt haben.

In Kurzfassung: Für Extrabudget braucht es gesellschaftliche Wertschätzung. Dafür braucht es spektakuläre Funde; die Befunde, heilige Kühe der Akademiker, sind der Öffentlichkeit egal. Für das Machen spektakulärer Funde ist niemand so gut geeignet wie die Gruppe der Sondengänger. Siehe dazu den Abschnitt über England in dem Kapitel „Sondengänger außerhalb Deutschlands“ . Nachfolgend will ich den Versuch unternehmen, das näher zu erläutern.

Gesellschaftliche Situation

Die deutsche Amtsarchäologie, insbesondere die Bodendenkmalpflege, führt ein Nischendasein innerhalb der Gesellschaft. Man pflegt die „splendid isolation“, das behagliche Leben im Elfenbeinturm. Zwar betont die Amtsarchäologie gerne ihre wichtige gesellschaftliche Rolle als „Bewahrerin des nationalen Erbes“ (die genaue Formulierung variiert), tatsächlich sieht sie Bürger dieser Gesellschaft, also die eigentlichen Erben, aber fast eher als Störfaktoren an, wenn sie nicht gerade ihre Bücher oder Eintrittskarten kaufen. Wer per Email bei einem Museum das Bild eines Fundes und der Bitte um Hilfe bei der Bestimmung schickt oder bei einer Uni wegen einer 10 Jahre zurückliegenden Diplomarbeit anfragt und dem Empfänger unbekannt ist, erhält in der Regel keine Antwort. (Ich habe es probiert. Man sollte immer persönlich hingehen, zumindest beim Erstkontakt. Jemanden abzuwimmeln, der in Leibesgröße vor einem steht, ist weitaus schwieriger, als eine Email zu ignorieren.)

Im besonderen Maße gilt das distanzierte Verhältnis zwischen Bürgern und Amtsarchäologie für die Denkmalschutzbehörden, die von Amts wegen die undankbare Aufgabe haben zu verbieten, Bauherren Kosten zu verursachen, kurz, den Bürgern Probleme zu bereiten.

Tatsächlich unterscheidet sich die Interessenlage der in der Amtsarchäologie tätigen Personen dramatisch vom Durchschnittsbürger. Aus seiner Sicht ist die deutsche Archäologie uninteressant, die dort tätigen Personen Sonderlinge, die aus nicht nachvollziehbaren Gründen wegen einiger Scherben in Erregung geraten. Für ihn ist Archäologie gleichbedeutend mit Pyramiden und Indiana Jones. Der jedoch kommt allenfalls nach Deutschland, um sich mit den Nazis herumzuschlagen. In den deutschen DIN Wäldern besteht keine Aussicht auf die Entdeckung von Pyramiden, mit tödlichen Fallen versehen und vollgestopft mit den goldbehangenen Skeletten geopferter Jungfrauen. Wer an einem Werktag in die Archäologische Staatssammlung geht, des wichtigste archäologische Museum Bayerns und eine der ersten Adressen in Deutschland, teilt sich die gesamte Ausstellung mit vielleicht zehn anderen Besuchern.

In Zeiten üppiger Budgets war diese Exotenrolle der Amtsarchäologie innerhalb der Gesellschaft, resultierend aus unterschiedlichen Interessenlagen, vielleicht nicht weiter wichtig. Heute jedoch kann das Berücksichtigen der Bedürfnisse der Öffentlichkeit, also das Entdecken und Zeigen von spektakulären Funden, die man Ausstellen, Sehen und als Fotografien in unser Mediengesellschaft verbreiten kann, das ersehnte Extrabudget und andere Vorteile bringen. Noch einmal: Für die gesamtgesellschaftliche Wahrnehmung zählen außergewöhnliche Funde, nicht Befunde oder wissenschaftliche Analysen. In Nebra die Himmelscheibe, in Kalkreise die eiserne Gesichtsmaske. Außergewöhnliche, konkrete, anfassbare, vor allem fotografierbare Symbole der Vergangenheit, die vermuten lassen, dass die deutsche (Vor)Geschichte vielleicht doch nicht so todlangweilig war, wie die Allgemeinheit üblicherweise vermutet. Museumsdirektoren werden diese Zusammenhänge von Haus aus klar sein, Denkmalschützern, von Ausnahmen wie Dr. Meller in Sachsen-Anhalt einmal abgesehen, eher nicht.

Und wie kommt man nun an außergewöhnliche Artefakte außerhalb des extrem beschränkten, amtlichen Grabungsbetriebes? Indem man die Sondengänger dazu bringt ihre Funde auch zu melden, siehe England. Und wie bringt man sie dazu? Indem man die Rahmenbedingungen so ändert, dass der Sondengänger von einer Meldung insgesamt profitiert, anstatt sie zu verteufeln und immer nur auf die durch sie verursachten - tatsächlichen oder vermeintlichen - Schäden herumzureiten. Wiederum siehe England, und siehe auch das Kapitel „Interessenlage der Sondengänger“ .



Quellen und Anmerkungen

[1] Landkreise München, Ebersberg, Miesbach-Tölz, Starnberg, Rosenheim

[2] Rachelburg bei Flintsbach am Inn

[3] Fentbach Oppidum, ein ehemaliger keltischer Zentralort

[4] Bürg auf dem Altjoch bei Kochel

[5] Bericht der bayerischen Bodendenkmalpflege, Ein hallstattzeitlicher Grabfund von Purfing, Gde. Vaterstetten, Lkr. Ebersberg, Bd. 34/35, 1994/95, S.135-145

[6] Die Prospektionsabteilung des BLFD z.B. war in der zweiten Hälfte der 90er Jahre unter Dr. Becker weltweit führend in der Magnetik (Magnetometerprospektion). Eine faszinierende Technologie mit fantastischen Arbeitsergebnissen. Das BLFD führte zahlreiche Prospektionen im Ausland, z.B. für das DAI, durch. Nach Dr. Becker führt Dr. Fassbinder die Abteilung weiter, der z.B. in Uruk eine Magnetometerprospektion durchführte. Die resultierenden "unterirdischen Stadtpläne" (Kartierungen der rel. Stärke des Erdmagnetfeldes) sind eine ideale Grundlage zur Planung von Grabungen.
Verglichen mit den 1990er Jahren macht die Prospektionsabteilung leider einen "kaputtgesparten" Eindruck. Mir persönlich ist schleierhaft, warum man dieser hocheffizienten Vorgehensweise, die weit schneller und kostengünstiger Ergebnisse liefert als die traditionelle Spatenarchäologie, und die zudem ohne Bodeneingriffe auskommt, keine höhere Budgetpriorität gibt.


(C) Thorsten Straub, www.sondengaenger-deutschland.de