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Einführung

Staatliche archäologische Stellen beanspruchen heute das exklusive Recht an Artefakten, Befunden und Nachforschungen. Gleichzeitig haben sie nicht annähernd die Mittel, diese Rolle auszufüllen. Die aus diesem irrealen Anspruchsdenken resultierenden Konflikte existieren weltweit. Der ägyptische Bauer, die zufällig etwas Antikes finden, meidet die Behörden ebenso furchtsam wie der Sondengänger in Deutschland oder den meisten anderen Ländern. In den klassischen "Archäologieländern" der frühen Hochkulturen (Lateinamerika, Mittelmeerraum, Naher und Mittlerer Osten) sind diese Konflikte noch sehr viel stärker ausgeprägt als im archäologisch provinziellen Deutschland mit seinen meist wertlosen Funden. Um zu verstehen, wie sehr es zu dieser für die Archäologie so schädlichen Situation kam, muss man die historische Entwicklung der Bedeutung von Privatpersonen und staatlichen Stellen in der Archäologie betrachten. Diese wird nachfolgend beschrieben.

19. Jahrhundert

Der Startschuss - wortwörtlich - für die Archäologie war Napoleons Ägyptenfeldzug um 1800. Er brachte Wissenschaftler mit, die das Land und u.a. seine historischen Bauten dokumentierten und die Ergebnisse sehr aufwendig publizierten. Es kam in Europa zu einer Begeisterung der frühen Hochkulturen und die Museen wetteiferten um die besten Stücke. Den Regierungen in den Fundländern war das schlichtweg egal; die Bergungen erfolgten fast immer mit ihrer Genehmigung, die späteren Ausgrabungen ohnehin.

Das ganze 19. Jhd. hindurch war Archäologie fest in privater Hand, zuerst in Form von Entdeckern und Sammlern, später in Form von zumeist privat finanzierten Archäologen, die Wissenserwerb über Gegenstände stellten. Auch diese betrachteten die Pioniere, die die Amtsarchäologie heute abfällig als "Raubgräber" bezeichnen würde, keineswegs negativ. Howard Carter (privat finanzierter Archäologe und Entdecker von Tut Ench Amun) sprach sehr respektvoll von Guiseppe Belzoni (bekanntester Aufspürer und Berger von Artefakten des frühen 19. Jhd., eigentlich Zirkusartist). Er nannte ihn "Einer der bemerkenswertesten Männer in der ganzen Geschichte der Ägyptologie". [1] Die damaligen privaten Finanziers von Ausgrabungen würden Amtsarchäologen heute als "die eigentlichen Plünderer, die die Raubgräber finanzieren" bezeichnen. Sammler ereilte bereits das gleiche Schicksal.

Staatliche Institutionen spielten lange Zeit keine Rolle, wenn man von den Museen absah, deren Geld private Sucher finanzierte. Heinrich Schliemann fand Troja mit seinem eigenen Geld und löste damit auch in Deutschland eine Archäologiebegeisterung aus, die auch von Kaiser Wilhelm II geteilt wurde und höchste Kreise erfasste. Um die Wende vom 19. zum 20. Jhd. wurden die deutschen Denkmalschutzbehörden gegründet, um die Erforschung der historischen Stätten dadurch zu ermöglichen, dass sie ihre Zerstörung durch Baumaßnahmen etc. verhinderten.

Damals regierte weltweit der Pragmatismus und es kam noch häufig zur internationalen Zusammenarbeit. So kam z.B. Deutschland nach dem Prinzip der hälftigen Fundteilung 1912 völlig legal zur Nofretete, nachdem ein deutscher Archäologe sie in Ägypten gefunden und den zuständigen Stellen gemeldet hatte.

Erster Weltkrieg

Diese Situation änderte sich grundlegend um den Ersten Weltkrieg herum. Sein Ende brachte den Zerfall großer Reiche, insbesondere des osmanischen Reiches. In der Levante entstanden Nationalstaaten und mit ihnen der Nationalismus. Man entdeckte die identitätsstiftende Wirkung von historischen Gegenständen und nannte sie fortan Kulturgut. (Diese Wirkung haben mineralische Bodenschätze nicht, weswegen die Geologie, wie oben erwähnt, von all diesen Dogmen und den durch sie verursachten Problemen weitgehend verschont blieb).

Artefaktkommunismus

Die Folge war der Gedanke des Artefaktkommunismus, d.h. Artefakte wurden fortan als Volkseigentum gesehen, das nicht privat besessen und nicht exportiert werden durfte. Wie jeder Kommunismus führte er zur Stagnation, weil Engagement nicht mehr belohnt wurde. Wer suchen durfte, hatte nicht die Mittel dazu. Und wer die Mittel hatte, durfte nicht suchen oder hatte keine Anreize mehr, weil er die Funde nicht behalten durfte. Private Investoren zogen sich zurück, private Forschungen wurden illegal und so verlor die Archäologie mit der Privatinitiative ihre stärkste Antriebskraft.

Legale Archäologie war fortan auf staatliche Institutionen mit der ihnen eigenen Mittelarmut und Ineffektivität beschränkt. Im 19. Jhd. war die Archäologie von privat mit extremer persönlicher Hingabe entdeckten, schlecht dokumentierten und häufig inkorrekt gedeuteten Weltsensationen bestimmt. Im 20. Jhd. ging sie zu staatlich mit eher mäßiger Hingabe geborgenen, hervorragend dokumentierten und manchmal korrekt gedeuteten Kleinigkeiten über, die außerhalb der Fachwelt fast niemanden interessierten. Welcher Durchschnittsbürger kennt schon den Namen auch nur eines Archäologen der Nachkriegszeit oder auch nur eine wirklich von Archäologen gemachte Entdeckung. Die wirklichen Entdecker waren und sind fast immer Privatpersonen. Wenn mit der Entdeckung der mit Abstand schwerste Teil der Arbeit erledigt ist, springen die Archäologen herbei, erledigen ein paar archäologisch-handwerkliche Tätigkeiten, geben Interviews und lassen sich als Entdecker feiern. Von der Himmelscheibe profitierten viele Amtsarchäologen; die Entdecker wurden bestraft.

Und was die Nofretete angeht: Seit 1914 fordert Ägypten die Rückgabe. Fundortprinzip vor Leistungsprinzip. Artefaktkommunismus at work.

Aufgrund des politischen Einflusses der Archäologie entstand in den meisten Staaten eine Rechtslage, die zu der grotesken Situation führte, dass hauptsächlich dort Aufsehen erregenden Entdeckungen mit ihren positiven Folgen für den archäologischen Fortschritt gemacht werden, wo die örtlichen gesetzlichen Restriktionen in Privatinitiative erfolgreich umgangen werden konnten. Wie z.B. bei den Rollen von Qumran oder der Himmelsscheibe.
Nur in den USA mit ihrer liberalen Rechtslage kam es mit spanischen Galeonen zu sensationellen und trotzdem legalen Funden. Aber auch diese Erfolge werden sich im 21. Jhd., trotz immer besserer Bergetechnologie, so nicht wiederholen, weil der Artefaktkommunismus in Bezug auf ausländische - hier spanische - Funde inzwischen auch das US Rechtssystem erreicht hat. Ende der 1990er Jahre traten in den USA Gesetze in Kraft, die die Eigentumsansprüche ausländischer Regierungen an Artefakten auch für US Bürger verbindlich machten. Egal wie sehr diese Ansprüche dem liberalen Gedankengut der USA widersprachen. Seitdem haben illegal geborgene und exportierte Gegenstände in den USA den rechtlichen Status von Diebesgut. Rechtmäßiges Eigentum kann an ihnen nicht erworben werden. Dies wird die wichtigste einzelne Entwicklung in der archäologischen Welt in der ersten Hälfte des 21. Jhd. sein, auch wenn sie in der deutschen Provinz bisher kaum wahrgenommen wurde.

Die Archäologen bejubeln diese Entwicklung natürlich, aber das tun sie nur, weil sie wie immer die Folgen nicht abschätzen können. In 50 Jahren werden sie nicht mehr jubeln. Die Folge wird nicht sein, dass das Sammeln in den USA aufhört. Das wird auch weiterhin ohne nennenswerte juristische Risiken möglich sein. Auch das Graben in den Quellenländern wird folglich weitergehen. Die Folge wird sein, dass die Sammlungen zunehmend vor der Öffentlichkeit verborgen werden. Kooperationen zwischen reichen Sammlern und Museen - von zentraler Bedeutung in der gesamt Welt der Kunst - werden stark abnehmen. Eben solche Kooperationen führten in der Vergangenheit zu den bedeutendsten Ausstellungen der letzten Jahrzehnte, wie z.B. die der Ortiz-Sammlung. Verlierer ist die Öffentlichkeit. Soviel als Exkurs in der Welt der großen Jungs, zurück in die deutsche Provinz.

Für das 21. Jhd. ist zunächst nur in England auf sensationelle und trotzdem legale und gemeldete Funde in großer Zahl zu hoffen, weil der Gesetzgeber dort auf Pragmatismus setze und gegen den Willen der Archäologen Fundmeldungen seit 1996 belohnt.

Westliche Industrieländer

Im Gegensatz zu den Archäologieländern mussten die westlichen Industrieländer nie die Erfahrung kolonialer Ausbeutung machen, zumindest nicht als Opfer. Der Wunsch nach kultureller Identität durch Archäologie spielte aber auch dort eine Rolle - in Deutschland besonders ausgeprägt mit dem Germanenkult der Nationalsozialisten - und natürlich hat jede Personengruppe gerne besonders umfassende Ansprüche. So wurde der so archäologielähmende Gedanke des Artefaktkommunismus auch von den Archäologen in den Industrieländern begeistert übernommen und wird dort bis heute liebevoll gepflegt, wie wohl weltweit von keiner zweiten Personengruppe außerhalb Nordkoreas.

Auf allen Hierarchieebenen der deutschen Archäologie sind zahlreiche Personen allen Ernstes der Auffassung, dass Artefakte ein ausschließlich von ihnen zu verwaltendes, kollektives Volkseigentum seien (Schatzregal) und dass Finder folglich Diebe, Plünderer, Räuber, Hehler etc. seien, wenn sie es ablehnen, ihre Funde ersatzlos konfiszieren zu lassen. Sie vertreten die Ansicht, dass Archäologen exklusiv das Geburtsrecht an allen Befunden in der deutschen Erde haben, auch wenn sie sie selber mangels Mitteln nicht ansatzweise selber erforschen können. Das propagieren sie nicht nur nach außen, das glauben sie tatsächlich selber. So entstand die 0815-Rhetorik von den "Räubern der Vergangenheit", die Litanei von den "Befundstörungen" usw. . Heute mäkeln die Amtsarchäologen sogar an Heinrich Schliemann herum, der mit seinen Entdeckungen erst die Entwicklung auslöste, die zur Einrichtung ihrer Behörden und Pensionsansprüche führte und der in wenigen Jahren mehr sensationelle Entdeckungen von Weltbedeutung machte als sie alle zusammen in den hundert Jahren nach ihm.

Auf diese Weise entstand der Konflikt, dass von Privathand geborgene Funde sowohl von den Archäologen als auch von den Findern moralisch beansprucht werden. Die Ansprüche der Archäologen basieren auf dem Artefaktkommunismus, die der Sucher auf dem Leistungsprinzip. Mal hat die eine Partei die Rechtslage auf ihrer Seite, mal die andere.

Global betrachtet ist die Lage der deutschen Sondengänger nur ein völlig unbedeutender Nebenschauplatz dieses Konfliktes, schon alleine aufgrund der ästhetischen und materiellen Unattraktivität der allermeisten deutschen Funde. Das einzige, was in der provinziellen deutschen Archäologie Weltniveau erreicht, sind die Klagen seiner Archäologen über "Raubgräber". Kaum ein Archäologe aus dem Jemen oder Lateinamerika dürfte verstehen, worüber sich seine deutschen Berufskollegen eigentlich so aufregen. Aus seiner Sicht sind sie offensichtlich nur nichts gewöhnt. Obwohl die provinzielle, deutsche "Auf der Alm da gibts ka Sünd" Situation für eine Zusammenarbeit zwischen staatlichen Archäologen und Privatsuchern geradezu ideal ist, kommt es aufgrund der Verweigerungshaltung der Archäologen nicht dazu.



Denkmalschutz

Der Konflikt wird durch die Denkmalschutzbehörden weiter verschärft, da sie ihre ursprüngliche Zielsetzung - Unterstützung und Vorbereitung der Forschung - vergessen haben. Sie haben sich verselbständigt, haben mit Forschung heute nur noch sehr wenig zu tun und betrachten die pauschale Blockade der historischen Stätten ("Schutz" der "Bodendenkmäler") heute als Selbstzweck. Verheerend ist, dass sie dabei nicht nur die wenigen, seltene Stätten blockieren, die vielleicht tatsächlich einmal irgendwann von Archäologen erforscht werden könnten, sondern möglichst alles "wo früher mal was war", inzwischen mehrere Millionen Areale im so chronisch pyramidenarmen Deutschland. Sogar außerhalb der Bodendenkmäler versuchen sie die Suchtätigkeit soweit sie können zu behindern, siehe Landesdenkmalsämter. Letztendlich kommt hier auch zum Tragen, dass die Aufnahme archäologischer Strukturen in den Denkmalschutz ein Kompromiss war. Im Gegensatz zu richtigen Denkmälern wie Reiterstatuen oder alten Häusern müssen archäologische Strukturen nämlich entdeckt und erforscht werden.

Diese Maßlosigkeit, keinerlei gesamtgesellschaftliche Abwägung, die höchst einseitige Betonung von Schutz gegenüber Erforschung - in der Archäologie ein Zielkonflikt - sowie pauschale Ablehnungen von Grabungsgenehmigungen ohne Einzelfallprüfung (Bayern, Baden-Württemberg) sind das Problem, nicht der an sich sinnvolle Schutzgedanke selber. Siehe Abschnitt "Zusammenfassung und Kommentar" im Artikel "Rechtslage" sowie Artikel "Termin beim BLFD".

Sondengänger sind ideale Partner von Museen und Forschungsinstitutionen, da sie interessante Objekte finden und wichtige, neue Entdeckungen machen. Für die Denkmalschutzbehörden jedoch ist das unberührte Belassen des Bodens das Wichtigste, was mit dem Sondengängertum genauso unvereinbar ist wie mit jeder anderen Art von Entdeckung und Erforschung, wenn man von der zerstörungslosen Prospektion absieht.

Da in Deutschland ausgerechnet die Denkmalschutzbehörden für die Vergabe von Such- und Grabungsgenehmigungen zuständig sind, liegen sie wie ein Netz aus Blei über dem archäologischen Erkenntnisfortschritt, den zu fördern ursprünglich ihre Aufgabe war. In ihrer forschungsblockiernden Wirkung erinnern sie an die mittelalterliche Kirche. Was die störte, waren auch nicht die neuen, wissenschaftlichen Erkenntnisse an sich. Sondern deren unterminierende Wirkung auf das Weltdeutungsmonopol und somit die Machtstellung der Kirche. Glücklicherweise sind ihre rechtlichen Möglichkeiten der heutigen Denkmalschutzbehörden ungleich beschränkter.

Am Anfang des 20. Jhd. arbeiteten in den Denkmalschutzbehörden Archäologen, heute sind es Anwälte der Stagnation mit einem Doktortitel der Archäologie. Dies brachte sie nicht nur in einen Konflikt mit den Sondengängern, sondern auch mit den Forschungsarchäologen an den Unis, die die Denkmalschützer inzwischen manchmal als Archäologen zweiter Klasse betrachten.

Denkmalschutz bedeutet Verbieten und damit macht man sich nirgends Freunde. Ein undankbares Geschäft. Aber auch im Denkmalschutz kann man Archäologe sein.

Ob jemand ein Archäologe ist, entscheidet sich nicht an akademischen Titeln oder Ämtern, sondern ob und mit welchem persönlichen Einsatz er sich um den archäologischen Erkenntnisfortschritt bemüht, also z.B. auf Finder zugeht. Jede Kooperation zu verweigern, statt dessen nach Möglichkeiten zu suchen, Findern mit legalen Winkelzügen ihre Funde wegzunehmen, mag für eine Karriere in der deutschen Amtsarchäologie förderlich sein, siehe Himmelscheibe, als Archäologe disqualifiziert man sich dadurch eher.


Fazit

Die Archäologie, die im 19. Jhd. so überaus hoffnungsvoll begonnen hatte, geriet im 20. Jhd. in den Würgegriff der Dogmen. Sie wurde verstaatlicht und bürokratisiert. Ihr eigentliches Zugpferd - Privatinitiative - wurde vielerorts kriminalisiert und musste ihre Entdeckungen fortan zunehmend für sich zu behalten. Einige wurden vom Forscher - der nichts mehr publizieren durfte - zum Sammler oder sogar Händler. Funde gingen nicht mehr an Museen, sondern an die, die keine Fragen über ihre Herkunft stellten. Die Fortschritte der Archäologie begannen sich dramatisch zu verlangsamen und haben heute die Geschwindigkeit tektonischer Platten erreicht. Heute muss man schon dankbar sein, dass es überhaupt noch voran geht. Ohne Artefaktkommunismus und der lähmenden Rolle der Denkmalschutzbehörden könnte es so viel schneller sein.

Für die Ameisenarbeit sind die Amtsarchäologen geeignet, wenn man sich nicht an ihrer geringen Geschwindigkeit stört. Für hoheitliche Aufgaben wie die Vergabe von Grabungsgenehmigungen gibt es zu ihnen keine Alternative. Für übergeordnete Zusammenhänge wie oben beschrieben sind sie jedoch blind. Veränderungen sind von ihnen nur zum Negativen zu erwarten. Die Hoffnung auf wirkliche Sensationen ruht nach wie vor auf der Privatinitiative. Bis in Deutschland das Schatzregal abgeschafft wird, muss man dafür wohl nach England schauen.


Siehe auch

Abschnitt Privatsucher vs. akademische Welt im Artikel "Schatzsucher".

Quellen und Anmerkungen

[1]

C.W.Ceram, "Götter, Gräber und Gelehrte", Rowohlt 1955, S.130

(C) Thorsten Straub, www.sondengaenger-deutschland.de